Der Modellbahner

....... über jedem Modellbahner hängt, scharf geschliffen und an einem seidenen Faden, das Schwert der öffentlichen Meinung. Diese öffentliche Meinung läßt zwar jedes Jahr zu Weihnachten Tausende von sogenannten Startpackungen liebevoll und zuversichtlich in Kinderhände legen, um dann selbst mit vor Erwartung geweiteten Augen den kleinen Zug aus dem Tunnel unterm Tannenbaum kommen zu sehen. Ja, diese öffentliche Meinung freut sich lautstark über jedes Promille Kindergunst, das die (gute alte) Modellbahn den (bösen neuen) Computerspielen abnimmt. Doch genau dieselbe öffentliche Meinung vertritt gleichzeitig zynisch grinsend die Auffassung, daß der erwachsene Mann, der sich zur Modellbahn bekennt, im besten Fall ein infantiler, egomaner, unsozialer und verklemmter Volltrottel und im schlimmsten Fall ein dämonischer, kryptofaschistischer Psychopath ist.
Ich habe das erlebt und erlebe es weiterhin. In gewissen Kreisen, und die sind fast überall, fällt es entschieden leichter, sich zu Leidenschaften zu bekennen, denen nachzugehen lebensgefährlich ist oder gar unter Strafe steht, als sich einen überzeugten Modellbahner zu nennen.
........Unter Frauen gar fungiert der Modellbahner als das Greuel schlechthin; ich vermute, neben ihm erschienen dort selbst der Kegler oder der Rosenzüchter als geradezu sexy !
...... ich weiß nicht, warum Frauen bis auf wenige Ausnahmen mit großen und kleinen Lokomotiven so wenig anfangen können, ich erlebe es nur, wenngleich bisweilen recht schmerzlich. Hierzu eine kleine Anekdote:
Es war im Juli beim Besuch eines Eisenbahnmuseums, irgendwo zwischen Bochum und Dresden. Blauer Himmel, 27 Grad. Vorführungen von 10 bis 18 Uhr. Auf den Führerständen der angeheizten Dampfloks drängen sich erwachsene Männer mit Alibi-Kindern an der Hand. Um die große Drehscheibe vor dem Lokschuppen steht es dicht gedrängt, und wenn eine neue Maschine herausgezogen und langsam gedreht wird, bekommt sie Applaus wie ein Model auf dem Laufsteg. Es riecht wieder nach Ruß und Öl. Wer nicht aufpaßt, dem fährt die Feldbahn über die Füße. Irgendwo hinten, bei der Bekohlungsanlage, wird Erbsensuppe verteilt.
Gegen 18 Uhr breche ich auf. Da sitzen in der Nähe des Ausgangs zwei Frauen mittleren Alters auf einer Bank; unschwer zu ahnen, daß sie auf ihre Männer warten. Und als ich vorbeikomme, höre ich, wie die eine laut aufstöhnt.
"Was ist ?", fragt die andere besorgt.
"Ach", schüttelt die eine langsam den Kopf, "ich will ja nun wirklich nichts sagen. Aber müssen die wirklich jedes Jahr schönes Wetter haben ?"
.........

Burkhard Spinnen

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