Der Bahnhofsspatz

Der Bahnhofsspatz hüpft auf dem Gleis umher und suchte nach Brotkrumen. Lange fand er nichts, und ein Zug nahte schon bedenklich, als er endlich doch noch ein Stückchen Weißbrot entdeckte und elegant davonflog - im letzten Augenblick, aber rechtzeitig.
Man mußte sich eben auf die neue Zeit umstellen, denn die elektrischen Lokomotiven kamen immer viel schneller und geräuschloser als die guten alten Dampflokomotiven. Doch - einen Vorteil brachte das elektrische Zeitalter auch: man konnte von den vielen Leitungen aus herrlich nach den guten Happen in den Gleisen äugen.
"Fabelhaft", schilpte eine sehr gepflegte junge Spätzin, die aus dem Park der in der Nähe liegenden Prunkvilla einen Ausflug in die weitere Umgebung gemacht und dabei einen Abstecher in den Bahnhof unternommen hatte.
"Man muß es können", schilpte der Bahnhofsspatz.
"Aber interessant", erwiderte das schöne Spatzenfräulein, flog auf die Gleise und begann zu suchen.
"Achtung", schrie der Bahnhofsspatz plötzlich und flog heldenmütig die vornehme Spätzin an, so daß sie noch rechtzeitig vor einem einfahrenden Zug aufflog.
Sie zitterte mit dem oberen Teil ihres Schnabels - in Ermangelung von Zähnen, mit denen sie vor Angst hätte klappern können.
"Welch ein Abenteuer", schilpte sie dazu. "Meine Familie wird staunen."
"Gefährlich leben ist interessant", schilpte der Bahnhofsspatz verärgert, "aber man muß etwas davon verstehen."

Felicitas von Reznicek

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